Beim Fachtag der Landesarbeitsgemeinschaft Wohnen in Hessen e.V. – Fachverband für Soziale Teilhabe – drehte sich alles um ein Thema, das die Soziale Arbeit in den kommenden Jahren grundlegend verändern wird: Künstliche Intelligenz (KI).
Rund 55 Fach- und Führungskräfte von hessischen Leistungsanbietern der Eingliederungshilfe sowie Vertreterdes LWV Hessen kamen in Fulda zusammen, um gemeinsam zu diskutieren, zu lernen und erste konkrete Schritte in Richtung Zukunft zu denken.
Klar wurde schnell: KI ist kein bloßes Werkzeug – sie wird ein aktiver Mitspieler in sozialen Arbeitsfeldern. Aber einer mit Regeln: Die Kontrolle bleibt beim Menschen. Entscheidungen werden unterstützt – nicht ersetzt. Der „Human in the Loop“-Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen.
Von Haltung zu Struktur: Individualisierung neu denken
Bereits der Einführungsvortrag von Prof. Dr. Michael Macsenaere zeigte, wie tiefgreifend der Wandel sein kann: Künstliche Intelligenz ist kein Werkzeug – sie ist ein Akteur. KI unterscheide sich grundlegend von klassischer Software, weil sie nicht nur Abläufe automatisiert, sondern eigenständig dazulernt, Schlüsse zieht und reagiert.
Ein zentrales Thema war der Paradigmenwechsel, den KI in der Sozialen Arbeit einleitet: Weg von standardisierten Verfahren – hin zu individuell zugeschnittenen Lösungen. Die Fachkräfte arbeiten schon heute ressourcenorientiert mit den Menschen, die sie begleiten – KI kann helfen, diese Haltung auch organisatorisch zu verankern. Durch intelligente Planungswerkzeuge, personalisierte Assistenzsysteme oder vorausschauende Datenanalysen werden Arbeitsprozesse anpassungsfähiger – und der Mensch mit seinen Stärken weiter in den Mittelpunkt gerückt.
Macsenaere bringt es auf den Punkt: KI ersetzt keine Haltung. Aber sie kann eine gute Haltung besser wirken lassen.
Zeitgewinn, der zählt: Quick Wins als Startsignal
Einen besonderen Fokus sollten Träger auf sogenannte „Quick Wins“ legen – erste, direkt umsetzbare KI-Anwendungen mit spürbarem Nutzen. Vor allem bei zeitintensiven Routinen wie Dokumentation oder Berichtswesen kann KI bereits heute konkret entlasten.
Wenn Fachkräfte täglich auch nur eine Stunde durch KI gewinnen, ist das kein Gimmick – das ist systemrelevant. Denn genau diese Stunde kann in direkte Begleitung und Beziehungsgestaltung fließen – also in das, was soziale Arbeit im Kern ausmacht.
Diese niedrigschwelligen Tools wirken wie Türöffner: Wenn Mitarbeitende konkret erleben, dass KI hilft, wächst auch die Offenheit für weitergehende Veränderungen. So entsteht eine erste Welle, die den Boden für nachhaltige digitale Transformation bereitet.
Veränderung braucht Begleitung – und Beteiligung
Der Wandel zu KI-gestützten Arbeitsweisen ist mehr als Technik. Es geht um Haltung, Kommunikation und ums Mitnehmen. Menschen müssen verstehen, wozu KI dient – und was sie nicht ist. Change-Management wurde entsprechend als zentrales Thema diskutiert.
Gerade im Umgang mit Unsicherheiten zeigte der Fachtag wichtige Perspektiven auf: Während Jüngere oft unbefangen mit KI umgehen, begegnen manche Mitarbeitende dem Thema zurückhaltender. Diese Haltung ernst zu nehmen – ohne in Technikangst zu verfallen – bleibt eine der größten Herausforderungen.
Zentraler Aspekt sind dabei die Schulungen. Denn: KI in Unternehmen darf nur genutzt werden, wenn die Mitarbeitenden entsprechend geschult wurden. Auch die Risiken von KI wurden beleuchtet, die im Kontext der KI (Entwicklung von Halluzinationen) und die im Kontext der menschlichen Anwendung (Umgang mit personenbezogenen Daten).
Am Ende überzeugt nicht die Theorie, sondern der erlebbare Nutzen im Alltag.
Perspektiven und nächste Schritte
Ein vorgestelltes Bundesprojekt zur partizipativen Entwicklung von KI-Tools für die Kinder- und Jugendhilfe zeigt, wie Zukunft konkret gestaltet werden kann – mit direkter Einbindung der Praxis und wissenschaftlicher Begleitung. Ein solches Bundesprojekt für die Eingliederungshilfe besteht aktuell nicht.
Der Vorstand der LAG hat angekündigt, das Thema auf Wunsch ihrer Mitglieder aktiv weiterzuverfolgen. Ziel: Wissen bündeln, voneinander lernen und gemeinsam ins Handeln kommen – vom kleinen Träger bis zum großen Komplexträger. Prof. Dr. Michael Macsenaere, der bundesweit KI-Projekte in der Sozialen Arbeit begleitet, hat Interesse signalisiert, diesen Prozess mitzugestalten.
Fazit: Technik darf – der Mensch muss
Der Fachtag in Fulda hat eines klar gemacht: KI ist gekommen, um zu bleiben. Richtig eingesetzt, kann sie Soziale Arbeit nicht nur effizienter, sondern auch menschlicher machen – indem sie entlastet, sortiert, unterstützt.
Doch: Der Mensch bleibt am Steuer. Die Verantwortung beginnt und endet bei ihm – als Haltung, als Entscheidung, als ethischer Kompass. Wer das beherzigt, kann jetzt die richtigen Weichen stellen.
Von Tempo 30 zur Daten-Autobahn
Dietrich Höschele, Geschäftsführer von Konzept-i, zeigte beim Fachtag, wie ein konsequent digital aufgestelltes Sozialunternehmen heute arbeitet – und wohin die Reise mit Künstlicher Intelligenz gehen kann. Konzept-i ist ein junges, ausschließlich ambulant tätiges Unternehmen. Alle Mitarbeitenden arbeiten mit einer selbst entwickelten App – direkt vom Smartphone aus. Ob Parkschein hochladen, Urlaubsantrag stellen oder Fachleistungsdokumentation: alles digital, alles mobil. Die App liefert der Geschäftsführung zusätzlich alle relevanten Zahlen und Kennwerte auf einen Blick.
Auch wenn Konzept-i bereits papierlos arbeitet, befindet sich das Unternehmen aktuell auf der „Landstraße“ der Digitalisierung – die „Tempo-30-Zone“ mit Aktenordnern, Ortsgebundenheit und Suchaufwand ist längst verlassen. Doch der Schritt auf die „Autobahn“ steht noch bevor: Die Einführung KI-gestützter Systeme soll künftig ermöglichen, große Datenmengen in Echtzeit auszuwerten – etwa durch natürliche Sprachverarbeitung oder automatisierte Entscheidungsunterstützung.
Der Mehrwert ist klar: weniger Sucherei, schnellere Übersicht, mehr Zeit für den direkten Kontakt mit den Menschen. Das Beispiel zeigt, dass KI kein theoretisches Zukunftsthema ist – sondern die logische Weiterentwicklung einer digitalen Praxis, die längst Realität ist.
Positive Resonanz
„Wir haben bereits während und besonders nach unserer Veranstaltung viele positive Rückmeldungen von den Teilnehmenden erhalten. Mit dem Thema „KI“ haben wir einen Nerv getroffen – im positiven Sinn. Denn viele Einrichtungen beschäftigen sich damit und sehen den Mehrwert für ihre Mitarbeitenden. Wir bleiben dran als LAG und werden das Thema weiter forcieren für unsere Mitglieder“, sagt Christof Schaefers vom LAG-Vorstand, der den Fachtag gemeinsam mit Antje Zeiger organisierte.
Sorgten für einen spannenden Fachtag zum Thema Künstliche Intelligenz: (v.li.) Prof. Dr. Michael Macsenaere vom Institut für Kinder und Jugendhilfe, Christof Schaefers und Antje Zeiger vom LAG-Vorstand sowie Dietrich Höschele von Konzept-i. Fotos: Winter
Um Ideen und Wünsche, über Datenschutz bis Finanzierung bezüglich der Einführung von Künstlicher Intelligenz bei den Leistungsanbietern ging es im world café am Nachmittag des Fachtags.