Zwei junge Frauen stehen in einem alten Boot am Ufer der Werra. Die Sonne scheint, der Himmel ist klar – fast so, als würde das Leben gerade eine Pause machen. Doch hinter dem Lächeln von Angie und Gabriela liegen Jahre voller Brüche. Nach ihrer Zeit in der Jugendhilfe standen sie plötzlich allein da – ohne Familie, ohne Netz, ohne doppelten Boden. Der Sprung ins eiskalte Wasser kam mit dem Moment, in dem die Unterstützung aufhörte. Und doch stehen sie heute fest im Leben. Auch dank eines Projekts, das ihnen genau dann begegnete, als es sonst niemand tat.
Angie wurde mit sechs Jahren aus ihrer Familie geholt, Gabriela verließ mit zwölf ihr Zuhause. „Die Alternativen waren nicht das, was du dir als Kind wünschst – aber alles war besser als zuhause“, sagen sie heute. Pflegefamilie, Wohngruppe, Jugendhilfe – ein unbeschwertes Aufwachsen war für beide nie drin. Die Erlebnisse aus früher Kindheit tragen sie noch immer mit sich. Ihre Traumata arbeiten sie seit Jahren in Therapien auf.
Nach der Jugendhilfe kam die nächste Herausforderung: plötzlich ganz allein. Keine Familie, die unterstützt. Keine Person, die hilft, wenn es um Wohnungssuche, Behördengänge oder Versicherungen geht. „Du hast einfach niemanden an deiner Seite“, sagt die heute 19-jährige Gabriela. „Du fällst in das nächste tiefe Loch, wenn du realisierst, dass du jetzt komplett allein dastehst“, ergänzt Angie, 26.
Durch Zufall erfahren sie vom Projekt Insight, getragen vom Werra-Meißner-Kreis und der Jugendhilfeeinrichtung Burgenhof. Das Projekt richtet sich an sogenannte Careleaver – junge Erwachsene, die nach der Zeit in der Jugendhilfe den Übergang in ein eigenständiges Leben meistern müssen. Denn die Jugendhilfe und die damit verbundenen Leistungen enden in der Regel mit der Volljährigkeit. Genau deshalb wurde das Projekt Insight ins Leben gerufen.
„Ohne Insight wären wir nicht da, wo wir heute sind“, sagen sie. Insight bedeutet mehr als Hilfe bei Anträgen oder Amtsterminen. Es bedeutet, jemanden zu haben, der mitgeht. Der fragt, wie’s dir geht. Der zeigt: Du bist nicht allein.
Mindestens genauso wichtig wie die praktische Unterstützung ist die psychologische. „Ohne Insight dachte ich oft, ich bin mit meinen Problemen allein auf der Welt“, sagt Angie. „Heute weiß ich: Es gibt andere, denen es genauso geht.“ Im Moment sind es rund 30 junge Menschen im Werra-Meißner-Kreis, die bei Insight vernetzt sind. Und die sich durch diese Verbindung weniger allein fühlen.
Dabei muss niemand gleich Teil der Gruppe sein. Insight funktioniert auch individuell – als verlässlicher Ansprechpartner bei ganz persönlichen Fragen, ohne sich an das Netzwerk binden zu müssen. Wer Hilfe sucht, bekommt sie. Unkompliziert und vertraulich.
Während Gabriela auf ihrem Weg zum Fachabitur in Eschwege ist, arbeitet die gelernte Altenpflegehelferin Angie in einem Einzelhandelsgeschäft. Wohin sie ihr Weg noch führen soll, wissen beide noch nicht genau. „Wir sind erst einmal froh, auf eigenen Beinen zu stehen, alles andere wird sich zeigen“, sagen sie.
Sicher sind sie sich aber jetzt schon in einem: Das Projekt Insight müsse weitergehen, am besten für immer. Und es müsse noch viel bekannter werden. Junge Menschen wie sie sollten bereits in der Pflegefamilie und den Wohngruppen davon erfahren. „Alle Careleaver sind unglaublich dankbar, dass es dieses Projekt gibt. Denn Insight ist mehr als ein Projekt. Es hilft uns, im Leben Fuß zu fassen und klarzukommen“, sagen Angie und Gabriela.
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